Geschichten von Schwertern und Zauberei

Der Kohler – 2

This entry is part 2 of 25 in the series Der Kohler

Steuern

Der Bewohner der kleinen Fronhütte duckte sich vor dem Steuereintreiber und das fiel dem Bauern gar nicht so leicht. Obwohl er nur mittelgroß war, hätte er den kleinen kugelbäuchigen Mann vor sich immer noch überragt. Seine Arme und Beine waren von der harten Arbeit auf den steinigen Feldern, die zu seinem Gedinge gehört, zwar nicht dick aber kräftig geworden und sicherlich dicker als die des Steuereintreibers. Der Winter war zwar ausnehmend mild gewesen, die Mobilmachung im letzten Herbst hatte ihn aber den Ertrag zweier Felder sowie zwei Sauen gekostet. Zwar waren sie im Winter nicht verhungert, aber sie standen auch ohne bare Münze da.

Der Steuereintreiber und sein Wohlwollen standen zwischen Marten und seinem finanziellen Ruin, er wollte den Beamten keinesfalls verärgern.

Johan Borken war sicherlich nicht sehr ansehnlich, zum Kugelbauch und den dürren Armen gesellte sich schließlich noch eine dünne spitze Nase und eine sehr hohe Stirn. Er war außerdem wahrscheinlich der schlechteste Steuereintreiber im Reich, denn so hätte er mit seinen Freunden gescherzt, wenn er welche gehabt hätte, sein größter anatomischer Nachteil war sein Herz.

Was Marten ihm gerade erzählt hatte, hatte er heute und in den letzten Tagen genau so schon mehrmals gehört und er konnte es nicht nur verstehen, sondern er hatte sogar Verständnis.

Dennoch würde er ihn auf die Liste setzen, aber zuerst würde er ihn warnen. „Er hat keine Kinder?“ fragte er ihn. Marten schaltete nicht: „Doch! zwei Söhne und eine Tochter – die muss ich auch ernähren!“ „Nun Bauer Marten, er weiß, dass er unter Reichsrecht nur einen Sohn zum Dienst geben muss und für die Dauer seines Dienstes ist er von der Steuer ausgenommen“ „Ja, ja, aber das möchte ich nicht, die beiden sind noch viel zu jung“.

„Marten, so hör er zu, die Armee ist in Greifenstedt und sie rekrutiert gerade aus allen Familien mit Steuerschulden. Ich könnte vermuten, dass sie auf dem Weg zu den Minen oder zur Reichsgrenze auch hier vorbeikommen, da könnte dein Ältester wohl eingezogen werden. Also wenn er vom Alter und da ist, nehmen sie ihn morgen Abend mit.“ Johan blickte erst auf Marten, dann versuchte er nicht zu den beiden Bewaffneten zu schauen, die das Packpferd bewachten. „Also seht zu, dass ihr morgen Abend nicht anderorts seid!“

Marten sah zu, wie sich der unsympathische kleine Kerl auf sein Pferd hievte. Der stoppelhaarige Bewaffnete links von ihm grinste breit und entblößte tabakschwarze Zähne, die rund um eine breite Zahnlücke standen. Die rechte Wache schaute unverwandt auf den Eintreiber, bis der hochsah und zusammenzuckte, dann nickte der Rechte und ritt los. Zahnlücke starret noch ein wenig länger, bis sich Marten umdrehte und seine Tochter am Fenster stehen sah. Der Bewaffnete winkte ihr zu und spuckte einen schwarzen Strahl Kautabak aus, dann ritt auch er los.

„Was machen wir denn nun?“ dachte Marten laut „Wir müssen unserer Sachen packen“ sagte seine Frau Hannah zu ihm, „morgen früh ziehen wir los und besuchen meine Schwester in Bergeding.“ „Aber wir können doch nicht alles zurücklassen?“

„Was denn?“ fragte Hannah schroff, „die Sauen sind weg und die Ziegen kommen mit.“ „Sonst haben wir nichts mehr außer den Kindern, den Feldern und der Hütte und die werden in ein paar Tagen noch da sein, aber unsere Kinder nicht!“

Marten hatte zugehört, wie ihm der hässliche kleine Steuereintreiber erklärt hatte, dass er seinen Erstgeborenen morgen gegen die Steuern tauschen konnte. Und er hatte zugesehen, wie der zahnlückige Bewaffnete, den er dabeihatte, auf seine Tochter gestarrt hatte.

Er hatte leider nicht gesehen, wie Harald, er kannte ihn als die rechte Wache, auf dem Weg zum Dorf immer wieder abschätzig auf den Steuereintreiber starrte. Er hatte nicht gehört, wie Harald zu seinem Hauptmann sagte: „Er hat sie alle gewarnt, wir kommen morgen“. Und er hatte die beiden nicht lachen gehört. Ganz sicher wäre er nicht so ruhig am Abend zu Bett gegangen, wenn er gewusst hätte, dass sich wenige Stunden später, nach der zweiten Wache auf dem Hof des Gasthauses die Bewaffneten sammelten und in mehreren Gruppen je zu fünft in Richtung der säumigen Aussiedler-Höfe ritten.

Jelena und Matjas

Talgede lag im Dunkeln unter ihnen. Die frühe Frühlingsnacht hatte zusammen mit einem kalten Wind, alle Wärme aus der Luft gezogen. Jelena war trotzdem nicht kalt. Sie saß zusammen mit Matjas am Eingang einer der halb-künstlichen Höhlen, die in einiger Höhe in den Hang oberhalb des Dorfes getrieben war und in denen die Arbeiter ihre Werkzeuge lagerten. Diese hier gehörte Matjas‘ Vater, so wie auch die Terrassen am Hang, auf denen die sauren Kirschen und kleinen Äpfel angebaut wurden, für deren Schnaps und Saft diese Region bekannt war.

Einerseits war ihr nicht kalt, weil sie ein ganzes Stück schnell durch die Nacht gelaufen war, vom Hof ihres Vaters der ein gutes Stück außerhalb des Dorfes lag. Sie hatte heute erst sehr spät aus dem Haus schleichen können, weil ihre Eltern hektisch ihre paar Habseligkeiten zusammenpackten. Andererseits war ihr nicht kalt, weil Matjas sie im Arm hatte, obwohl er ihr weniger die kalte Nachtluft vom Leib hielt, als dass er ihr mehr oder weniger unauffällig versuchte, das Oberteil hochzustreifen.

„Ich werde dich wochenlang nicht sehen“ klagte sie

„Ich würde ewig auf dich warten“ versprach ihr Matjas „Ich würde warten bis der Winter kommt und dann noch jedes Jahr eine Blume hier an diesen Ort legen, wo wir uns liebten“

Jelena lehnte sich etwas enger an ihn, das war zwar geflunkert, aber es war trotzdem romantisch und schön. Auf jeden Fall schön genug, um den kalten Wind noch einen Moment länger zu ignorieren.

Vorm Gasthaus in Talgede gingen Fackeln an. Wie wütende Glühwürmchen schwirrten sie im Zentrum des kleinen Dorfes, sammelten sich in kleine Grüppchen, um dann sowohl talab als auch talauf der Straße aus dem Dorf zu folgen. „Sie reiten zu den Aussiedlerhöfen“ sagte Matjas. „Was wollen sie denn da, wer ist denn das?“ fragte Jelena. „Die Eintreiber! Sie sind alle heute im Lauf des Tages von Greifenstedt gekommen“ „Sie sind auch bei meinem Vater am Hof“ rief er „Aber dein Vater zahlt doch Steuern“ „Aber nicht genug! Ich muss da runter, sonst nehmen sie meinen Bruder mit“.

Matjas ignorierte ihre Einwände, küsste sie nur noch einmal ungeschickt und hastete durch die Nacht den Hang hinunter.

Jelena schaute von oben hinunter auf’s Tal. Sie sah die Fackeln bei Matjas Hof zusammenziehen, als er dort ankam. Kurz darauf bewegten sich die Lichtpunkte wieder in Richtung des Gasthauses. Am Aussiedlerhof ihres Vaters, war einiges an Bewegung. Die Lichter hüpften und kreisten ärgerlich vor und zurück, eines ging aus, noch eines und plötzlich sprang das dritte Licht und wuchs bis sie das Dach ihrer Scheune in Flammen aufgehen sah. Die zwei Fackeln, die noch brannten bewegten sich zurück in das Dorf. Ein wenig ruckartig, so wie eine Raupe, die immer wieder stolperte oder hängen blieb.

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