Geschichten von Schwertern und Zauberei

Der Kohler – 24

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Kohler – 24

Entkommen

„Geduld gehört zu den Tugenden eines Soldaten“, grummelte Bent. Er saß seit inzwischen einem halben Tag gemeinsam mit Enno auf der kleinen Lichtung mit dem kleinen Bach direkt am Anfang des Waldes. Sie hatten vermutet dass die beiden Jugendlichen, falls sie noch nicht zurück in ihr Dorf gelangt wären, auf jeden Fall an dieser Stelle vorbei kommen müssten.

Bent mochte Enno, aber es gibt wenige Menschen, mit denen du dich einen Tag lang zusammen gut langweilen konntest. Enno sprach ununterbrochen von seinem Knaster, wenn er ihn nicht rauchte. Fast wünschte sich Bent schon die Gesellschaft von Klaas und seinen kruden Witzen. So weit war es gekommen.

Die beiden saßen gar nicht bequem hinter einigen Stämmen und zerflederten Büschen, die die Sicht auf die Lichtung fast verdeckten. Diese geschützte Lage hatten sich in den vergangenen Jahreszeiten anscheinend auch jede Menge Holzfäller, Jäger und Pechsieder zunutze gemacht, wenn sie nur einmal ungestört pissen oder kacken wollten.

Trotz der Winterpause stieg fein und unnachgiebig der süßliche Ammoniak Geruch in Bents Nase. Enno schien der Geruch nicht zu stören und er saß ungerührt auf einem Stück seines Mantels auf dem feuchten Moos. Bent bekam zunehmend Krämpfe in den Waden, seine Knie waren blockiert und die Schenkel zu einer schmerzhaften Masse zusammengezogen, vom Versuch seinen Po ein paar Fingerbreit über dem durchweichten Boden zu halten. Aber sie waren belohnt worden. Anna und Haagen hatten sich nach der unbequemen Nacht im Kohlenmeiler ein gutes Stück nach Norden in den Wald geschlagen und waren verschlungenen Tierpfaden durch stachelige Gebüsche gefolgt. Alles in der Hoffnung auf einen Weg zu stoßen, der sie im Bogen aus dem Wald führen würde. Erfolglos, die Pfade führten alle zurück zum großen Waldweg oder auf die Lichtung mit der Kohlerhütte. Jetzt folgten sie also wieder vorsichtig dem Waldweg, immer auf der Hut und jederzeit bereit zurück in den Wald zu huschen.

Dann kamen sie auf die Lichtung am Bach. Am anderen Ende der Lichtung konnten sie sehen, wie der Wald endete und sie sahen den Weg fast bis nach unten bis zu ihrem Dorf. Haagen nahm Ana an der Hand und sie stolperten los. Sie liefen quer über die Lichtung in dem Glauben, in der Hoffnung am Ende der Lichtung frei und sicher zu sein.

Bent sprang hinter dem Holzstapel hervor. Seine eingeschlafenen Beine gaben nach und der schlug als erstes lang hin. Haagen fuhr erschrocken zusammen, dann riss er Anna fast von den Füßen und rannte mit ihr an der Hand los. Enno war entspannter. Er stand langsam auf löste seine Bola von seinem Gürtel und ließ sie einige Male schwirrend über seinem Kopf kreisen, bevor er die Bola losließ und sich in aller Seelenruhe hinunter zu Bent bückte, um ihm breit grinsend auf die Beine zu helfen.

Haagen wurden abrupt gestoppt, als sich die drei Steine um seine Beine wickelten. Mit nur einer Hand, er ließ Ana nicht los, konnte sich nicht abbremsen und so schlug er fast ungebremst auf den Boden. Ana stolperte, ihr Handgelenk knirschte schmerzhaft und ihre Schulter durchfuhr ein hässlicher Ruck. Einen Augenblick nur hielt sie inne, starrte auf Haagen am Boden, überlegt ob sie Haagen wieder aufhelfen sollte, aber dann waren die beiden Soldaten schon heran.

Ohne größeres Aufhebens und nur mit, oberflächlicher Grausamkeit nahmen Enno und Bent die beiden Jugendlichen wieder gefangen.

Ana weinte leise, sie ließ sich aber beinahe teilnahmslos führen. Die unruhige Nacht und der lange Tag hatten sie ausgehöhlt. Haagen wäre kämpferische gewesen, aber ihm war schwindelig vom Sturz und eine große Beule bildete sich an seiner rechten Schläfe.

So führten die beiden Soldaten die beiden bis zum Unterstand an der Abzweigung zur Kohlerhütte und das Glück wollte es so, dass es gerade dann begann zu regnen. Enno und Bent sahen sich nur kurz an, dann zogen sie die beiden Jugendlichen unter den Unterstand. Enno begann ein Feuer zu bauen.

„Hilf mir mal“ sagt er, „bring Holz.“

 Bent erwiderte: „Ich muss mich um die beiden kümmern, sie hauen uns sonst ab.“

„Steck sie halt in den Käfig!“

Bent zuckte mit den Achseln: „Is aber eng“

„Na meinst du das stört die, in dem Alter?“ lachte Enno

Für die beiden wurde es richtiggehend gemütlich.

Für Anna und Haagen nicht besonders. Der Käfig hing im Regen und sie waren dem Wetter ungeschützt ausgesetzt. Haagen Augen waren glasig, erwiderte auf ihre Anreden nur stockend. Als sie ihn wegschob, weil er plötzlich schwer gegen sie lehnte, übergab er sich würgend, war aber wach genug, dass er sich zum Gitter drehte. Kreidebleich und zitternd hing Haagen am Gitter. Er sah verschwommen und Übelkeit schüttelte ihn in Wellen. Er würgte noch mehrmals trocken, nachdem er seinen spärlichen Mageninhalt losgeworden war. Ana ging es nur wenig besser, sie quetschte unbequem neben ihm, der Regen hatte ihre Locken an die Stirn geklebt und das Wasser tropfte ihr in die Augen, durchweichte ihre Tunika, die eiskalt an ihrer Haut klebte. Unglücklich starrte sie in den Regen und sah als erste den Reiter und die vier Pferde, die er im Schlepptau hatte.

Harald zügelte sein Pferd und es trottete langsamer, als er auf die Höhe des Unterstands kam. Es schüttelte den Kopf und zuckte mit den Ohren, so als wollte es ihm klarmachen, dass es am Feuer warm und trocken sein würde.

Enno und Bent waren in Haralds Augen die brauchbarsten Mitglieder von Klaas Rotte, auch wenn sie beide gerade reichlich breit und pflichtvergessen am Feuer saßen. Er überlegt kurz, dann stieg er vom Pferd, band die Zügel lose an und trat in den Unterstand.

Die beiden waren aufgesprungen, Enno versteckte schuldbewusst seine Pfeife hinter dem Rücken. Bent kam einen Schritt auf ihn zu

„Hör mal Harald, wir waren schon auf dem Weg“ rief er.

„Reit nicht zurück“ Harald spuckte aus „verpiss mich“

„Was, warum?“ stotterte Bent „was ist denn passiert?“

„Später, will leben, kommt ihr?“ fragte Harald.

Bent schüttelte eher ungläubig den Kopf, machte einen Schritt zurück.

Enno war auf die Pferde zugegangen, er hatte seine Faust schützend um die Pfeife gelegt und starrte nachdenklich auf die Tiere, erkannte Klaas‘ und Demmis Reittier.

„Demmi wird nicht so froh sein, dass du sein heiliges Ross reitest“

„Ist nich mehr froh, keiner mehr“ Harald Miene war unverkennbar.

Enno packte seinen Mantel und sein Waffengehänge zusammen.

„Willst du etwa auch desertieren?“ fragte ihn Bent.

Enno blies einen Rauchring, klopfte seine Pfeife aus und ließ sie in einem Lederbeutel verschwinden.

„Das ist Harald, willst du gegen was kämpfen, vor dem Harald wegrennt?” murmelte er.

„Willst leben?“ bekräftigte Harald.

Bent ging immer noch kopfschüttelnd zu seinem Pferd und saß auf.

„Wird’s bald?“ rief er den beiden anderen zu.

Ana hatte sich die Szene ungläubig angesehen, als sie Harald und Enno auch aufsteigen sah, fragte sie: „Hey, was ist mit uns?“

Auf Höhe des Gitterkastens hielt Harald kurz an: „Glückstag“ und zerschlug das Seil, mit dem der Kasten gesichert war.

Sie sah den Reitern noch einige Zeit ungläubig hinterher, dann sackte Haagen wieder zusammen. Da er gegen die Tür des Käfigs lehnte, schwang die jetzt nach außen und er mit ihr. Ungeschickt blieb er im Matsch vor dem Käfig liegen. Ana kletterte aus dem schwankenden Käfig und richtete Haagen mühsam auf. Junge Männer trugen sich allerdings wie halbausgewachsene Schweine. Blieb es also wieder an ihr hängen, dachte sie.

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